Manchmal ist es stink langweilig. Ein Alltag in einer Notaufnahme hat mitunter viel Routine. Das 97 Sprungelenk, das sich einer verdreht hat, ist nur für den Patienten interessant. Die 5 Blasenentzündung lockt einen nicht mehr zu Bedauernsausrufen. Und gebrochene Knochen werden halt gegipst. Freundlich.

Das ist es gut, wenn man seinen Geist ein wenig beschäftigt.

In solchen „flauen“ Zeiten dichte und fabuliere ich so vor mich hin. Ich kann nicht anders. EIN Reizwort und ich bin drin.  So was nennt man wohl „Sozialisation“.

Ein Auswahl.

Es ist morgens um halb vier. Der Chirurg/Internist kommt zum 7. Mal in dieser Nacht den weiten Weg von seinem Bett zurück (Der Arzt an sich ist ein Träumer – er hat sich noch kein einziges Mal ins Bett gelegt, obwohl er guten Mutes war. Er stand also in Wirklichkeit mehr davor), um Menschen in Not zuhelfen. (Vorgestern umgeknickt, entzündeter Fingernagel/ Bauchweh seit gestern, Schupfen seit vier Tagen) Der Blick wird von Stunde zu Stunde glasiger.

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein. ( Rainer Maria Rilke – Der Panther)

Es kommen mir Lieder in den Sinn, die ich seit meiner Kindheit kenne und liebe . Zack – sind sie im Gedächtnis. Selten wurde ein Asthmaanfall passender beschrieben:…. und die Hälse schnüren zu.

5o

Einer erzählt, wie er auf glattem Boden ausgerutscht ist. (Wahlweise Schnupfen) Kopfkino. Richard Wagner. „Garstig glatter glitschiger Glimmer! Wie gleit‘ ich aus! Mit Händen und Füßen – nicht fasse noch halt‘ ich das schlecke Geschlüpfer!“

Ein Kollege fragt: „Kommst du mit?“…. und ich folge ihm gleichfalls. Mit freudigem Schritte.

Die Patientin sagt: „Meine Freundin wollte noch nachkommen. Seltsam, dass sie noch nicht da ist.“

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, Im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein. (Hermann Hesse)

Ein Patient kommt – mit nasser Hose. „Neigschifft“ (=hinein gepinkelt)

„Bist du bald fertig?“ werde ich gefragt? Und ich antworte: “ Gib mir noch zwei südlichere Tage….“

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Erstaunlich. Alles sehr erstaunlich.