Vor einigen Jahren gelang einer Kollegin dieser wunderbare Schnappschuss vom Weihnachtsbaum vor der Notaufnahme.

 

15725393_1262151010539159_1584518050_oEin Siebenschläfer hatte Zuflucht gesucht. Vielleicht war es ihm draußen zu kalt. Oder die bucklige Verwandtschaft nervte. Möglicherweise suchte es Nüsse im Baum.

Baum ist schließlich Baum. Und auch unter Siebenschläfer gibt es ja vielleicht welche, die nicht die hellste Kerze auf der Torte sind und keine Ahnung von Baumkunde und Nüssen haben.  Wer weiß das schon. Irgendwas ist ja immer. Und so saß der kleine Kerl also im Baum.

„Zuflucht“ sucht nicht nur der Siebenschläfer bei uns. Das suchen viele Menschen.

Hier erhoffen sie , „Erlösung“ zu finden. Von Schmerzen, von Herzeleid, von unglücklichen Zufälle, die es im Leben gibt. Von langem Leiden überhaupt. Von Besorgnissen aller Art.

Sie erhoffen sich Hilfe und Schutz, Pflaster oder ein Röntgenbild. Eine Infusion. Einen Gips oder einen Herzkatheter. Manche wollen auch nur mal „nachschauen“ lassen, ob nicht vielleicht doch eine Nuss im Baum ist, oder der Zeh wirklich nicht gebrochen ist. Manche möchten wissen, ob ein Antibiotikum wirklich wirkt. Und manche sagen gar nichts mehr, weil ein Schlaganfall ihnen die Sprache genommen hat.

Sie alle kommen. Sie setzten sich und warten. Dr. Google hat sie aufgeschreckt oder die Mutti hat gesagt, dass sie unbedingt kommen sollen.

Manche kommen mit dem „HuiHui“ des Rettungsdienstes. Derzeit immer haarscharf am Weihnachtsbaum vorbei (-geschrammt, dass die Christbaumkugeln leise klirren) , bevor sie in die ´,heiligen Hallen` betreten.

 

So kann man eine Notaufnahme auch sehen. Wie für den kleinen Siebenschläfer ist es tatsächlich auch ein Ort der Zuflucht.  Hier gibt es Hilfe. Hier gibt es Rettung. Alles. Nur keine Nüsse.

Es ist ein besonderer Ort, an dem ich arbeite. Ein sehr schneller Ort.

Manchmal läuft alles perfekt.Alles!

Manchmal muss man sich mit allen zehn Fingern an den Kopf greifen, weil ein Finger alleine nicht reichen würde. Quasi eine ganze Einhornwiese.

Manchmal rührt einen das Schicksal anderer ganz heimlich zu Tränen.

Manchmal lachst du dir nen Ast, weil du denkst. Das gibt es doch gar nicht. Das kannst du wieder keinem erzählen – das glaubt dir kein Mensch.

Manchmal hast du einen Klos im Hals und musst schnell schlucken – oder besser noch einen Flachwitz hinterher schieben. Wir sind groß in schlechte Witze reißen. Das kompensiert all das Leid und die Ungerechtigkeit und den Kummer. Und es lässt den Ärger schneller verpuffen.

Manchmal möchtest du sofort wieder nach Hause gehen.

Manchmal kommst du an deine eigene Grenze und muss weit darüber hinaus gehen.

 

Aber wir gehen nicht. Wir geben Zuflucht. Den Kranken und den Besorgten. Den Armen, den Alten und Jungen. Den Vollspacken und diejenigen, die du am liebsten sofort adoptieren und mit nach Hause nehmen möchtest. Auch Siebenschläfer.

Die Zeiten sind rauh geworden. In vielen Artikeln kann man von Übergriffen, verbalen und körperlichen Attacken gegen das Personal lesen.

Und dennoch machen wir weiter. ( Jaja. Die Welt ist voller Rätsel und Wunder) Weil wir wissen:Wir können den Unterschied machen.

Wir wissen, wie man rettet und heilt und Pflaster klebt und Hand hält- auch unter Zeitdruck.

Wir wissen, wie man an einem Ort der maximal Versorgung ein Stück Geborgenheit schaffen und Angst nehmen kann.

Wir wissen, wie man mit Humor den Tag übersteht und wie man mit den unterschiedlichsten Charakteren irgendwie klar kommt. ( Na gut- manchmal auch nicht!)

Wir wissen auch, welche Schmerztabletten gegen unsere Fuß- und Rückenschmerzen am schnellsten hilft. (Damit wir dann Patienten mit Rückenschmerzen gelassen entgegen blicken können, die uns erzählen, wie schlimm alles ist, aber sie nicht so gerne Tabletten nehmen, Ah ja!)

Wir können mit Menschen kommunizieren, selbst wenn der Google-Übersetzter versagt.

Wir können Arztsprache in „Normalbürgerdeutsch“ übersetzten.

 

Wir geben Zuflucht. (Auch wenn wir oft selbst flüchten möchten.)

Selbst trotteligen Siebenschläfern.

Frohe Weihnachten!